Welche Rolle kann Design im Kontext gesellschaftlicher, politischer, ökonomischer und kultureller Umbrüche einnehmen?
Auszug aus der Masterthesis: Kapitel 11: Gestalterische Hypothese
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Um diese Frage zu beleuchten, muss die Theorie und Praxis zusammen gedacht werden. Visuelles darf nicht losgelöst von wissenschaftlich-textlichem gesehen werden. Denn genauso wie Diewald und Steinhauer formulieren – „Sprache ist vom Denken geprägt und Sprache prägt Denken“(1) – sind Bilder vom Denken geprägt und Bilder prägen unser Denken. ‚Unpolitische Gestaltung‘ kann es damit nicht geben, da mit ihr immer ein Bild geschaffen wird – auch wenn es davon zeugen sollte, die möglichen Zusammenhänge und Auswirkungen nicht beachtet zu haben. Dabei ist nicht eine generelle Verurteilung von Fehlern gemeint – sondern ein Umgang und einen Diskurs mit ebendiesen, um aus ihnen lernen zu können. Die Frage, die sich Gestaltende daher stellen sollten ist die, wem die Gestaltung nützt, wer mitgedacht wird und wer nicht. Gerade weil Design an der Schnittstelle von reiner Information in Textform und der visuellen Darstellung ebendieser steht, kann sie bewusst verwendet werden. Denn durch das Forschen, Auswerten, Auswählen und Darstellen von Daten wird der*die Grafiker*in zum*r Autor*in.(2)
Diese Arbeit plädiert für eine feministisch-politische Grundhaltung als Minimalkonsens – auch in der Gestaltung. Doch was ist feministische Gestaltung und wie sieht diese aus?
Neidhardt und Baumgarten haben Plattformen gegründet, die sich aus feministischer Perspektive mit Designlehre beschäftigen und stellen fest: „Sowohl im Feminismus als auch im Design steht das Machen im Mittelpunkt. [...] Design macht unsere Welt und reproduziert dabei diskriminierende Strukturen, deshalb muss es sich grundlegend verändern.“(3) Feministische Gestaltung bedeutet daher, den Status quo kritisch zu hinterfragen. Das bedeutet auch, nicht länger an einer androzentristischen Wissens- und Gestaltungskultur festzuhalten, sondern ebendiese in Frage zu stellen. Warum wird sich im wissenschaftlichen Kontext mit großer Mehrheit auf die Werke von Männern bezogen? Warum werden in gestalterischem Kontext ebenfalls vermehrt Männer als Genies und Vorbilder herausgestellt und nur einige wenige Frauen(linta*), die dadurch wie Ausnahmen wirken? Feministische Gestaltung ist auch wie Feministische Forschung immer eine Wissenschafs- und Gesellschaftskritik.(4) In beiden Fällen gilt jedoch: Die Wissenschaftskritik besteht nicht darin, die Wissenschaft im Allgemeinen anzuzweifeln, sondern die vermeintlich wertneutrale Wissensbildung und Geschichtsschreibung infrage zu stellen. Schon in den 1970er Jahren beschäftigten sich feministische Wissenschaftler*innen wie Sheila de Brettevill und Cheryl Buckley mit dieser Thematik und formulierten: Es gibt „weder eine neutrale Wissensbildung noch eine wertfreie Designpraxis“.(5) Meer geht als Gestalterin und Herausgeberin des Buches „Women in Graphic Design“(6) sogar noch weiter und behauptet, dass „der Glaube an eine ›objektive‹ Geschichte […] dem Wissen um die Subjektivität von Geschichtsschreibung gewichen [ist].“(7) Damit bleibt die Frage offen, wenn eine Subjektivität von Geschichtsschreibung erkannt wurde, warum sind Frauen(linta*) nach wie vor nicht ebenso sichtbar wie Männer im Grafik Design? Besonders obwohl an vielen Hochschulen in Designstudiengängen der Frauen(linta*)-Anteil sehr hoch zu sein scheint? Warum nehmen Frauen(linta*) immer noch weniger Raum in der Gestaltung ein? Warum scheinen geschlechtsspezifische Themen vermehrt von Frauen(linta*) bearbeitet zu werden und nicht auch von Männern in gleichem Maße? Aufgrund der direkten Auswirkungen ungleicher Geschlechterverhältnisse haben Frauen(linta*) meist ein größeres Interesse daran feministische Forderungen zu stellen und sich für die Umsetzung einzusetzen. Problematisch daran ist jedoch, dass feministisches Handeln im allgemeinen oder feministischen gestalterischen Projekten dann auch automatisch etwas ‚weibliches‘ zugeschrieben wird. Das kann beispielsweise durch das Verwenden von runderen Formen oder warmen Farben geschehen, da diese generell eher als ‚weiblich‘ assoziiert werden und mit den gesellschaftlichen Rollenbildern verknüpft sind. Doch die
„[...] Festlegungen auf das ›Weibliche‹ schränken Frauen jedoch in doppelter Weise ein: Einerseits werden die Gestalterinnen auf einen bestimmten Charakter reduziert und nicht als tatsächlich gleichberechtigt – auch in der Wahl ihrer Stile – behandelt, anderseits werden entsprechende, stilistisch ›weibliche‹ Arbeiten positiver bewertet, was dazu führt, dass Frauen, die erfolgreich sein wollen, diesen Erwartungen häufig entsprechen.“(8)
Eine interessante Frage wäre hier auch, ob oder inwiefern der Erfolg von Frauen(linta*) in der Gestaltung von ebendieser Anpassung und Annahme beziehungsweise Drängung in diese Rolle abhängt. Oder ob das was als ‚weiblich‘ gestaltet wahrgenommen wird von Gestalter*innen selbst oder von Betrachter*innen „re_produziert“(9) wird. Klar ist jedoch, dass die als ‚weiblich‘ wahrgenommene Gestaltung eine Zuschreibung sein kann und damit nicht zwangsläufig von der Gestalter*in beabsichtigt sein muss.
An dieser Stelle soll es jedoch nicht darum gehen, ob Gestaltung geschlechtlich konnotiert wird, sondern darum, wie politisch-feministische Gestaltung aussehen kann. Im Rahmen dieser Arbeit werden im Folgenden zwei Konzepte hervorgehoben, die sich in ihren Eigenschaften und ihrer Umsetzung in dieser Arbeit wiederfinden: das Gendersensible Design von Ulrike Haele und das kritisch-feministische Designmanifest von Marie Louise Juul Søndergaard.
Auf dem Symposium Gendersensibles Design 2020 in Wien präsentierte Ulrike Haele das Semesterthema und die Publikation „Entweder oder – sowohl als auch. Gendersensibles Design“(10) des Studiengangs Design, Handwerk & materielle Kultur an der New Design University in St. Pölten, Österreich. Gendersensibles Design wird demnach in Einstellung, Grundlage und Methode definiert.(11) So beschreibt die zugrunde liegende „Einstellung“(12): „Hinterfragt Machtstrukturen und die Logik des Marktes; Fokussiert auf das Veränderungspotenzial von Design; Non-Binäre Sichtweise auf Geschlecht“(13). Als „Grundlage“(14) werden folgende Eigenschaften beschrieben: „Hinterfragt zugrundeliegende Daten oder schafft differenzierende Daten; Hinterfragt Annahmen zu Gender-Rollen“(15) – die mit der Methode erreicht werden soll: „Verzichtet auf Gendercodes, setzt sie ironisch oder kritisch ein oder neutralisiert sie […] Formal und funktional modular und flexibel: eröffnet Möglichkeitsräume […] Produktdifferenzierungen aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse oder Funktionen […] Partizipativer Designprozess“(16).
Das kritisch-feministisches Designmanifest stammt aus der Promotionsarbeit von Marie Louise Juul Søndergaard.(17) Sie definiert dabei 13 Grundsätze: „#1 Designing should not be a way out of trouble, but a way of staying with the trouble […] #2 Engage with trouble, not problems […] #3 Design responses to trouble, not solutions […] #4 Be willing to make trouble […] #5 Stay with the wrong by speaking up against injustice […] #6 Curiously visit ongoing pasts and alternative nows […] #7 Be truly present across times, spaces, fact and fiction […] #8 Collectively imagine still possible futures […] #9 Be vulnerable to technology […] #10 Disclose your designerly privilege and understand that you have one […] #11 Use feminst [sic!] humour […] #12 Use taboos as a design resource […] #13 Resist the smooth and sleek aesthetics and engage with mess and bodies“(18).
Die in hier beschriebene Haltung und die Konzepte von Haele und Søndergaard bieten eine große Chance für die Gestaltung. Diese sollten jedoch nicht länger für sich alleine stehen, sondern vielmehr als eine neue Disziplin an der Schnittstelle Design, Aktivismus und Politik und damit an der Schnittstelle von Gender Studies und Design entwickelt werden. Ein sich dafür anbietender Begriff wurde als Idee von Luisa Hochrein gemeinsam weitergedacht und konzipiert: Design(act)ivism. Zentral soll im Design(act)ivism eine feministische Grundausrichtung, ein sensibler Umgang mit Geschlecht und Sprache, sowie eine Diskursoffenheit und damit Reflexion der Designarbeit und des generellen Tuns und Handelns sein. Damit werden die Konzepte Gendersensibles Design und kritisch-feministisches Designmanifest mit ein – jedoch nicht nur in Designdisziplin und Designarbeit, sondern generell als Lebenshaltung.
1: Diewald, G. & Steinhauer, A. (2017). Duden, richtig gendern: Wie Sie angemessen und verständlich schreiben. Dudenverlag. S.7; https://ebookcentral.proquest.com/lib/gbv/detail.action?docID=5245910, Diewald und Steinhauer
2: Vgl. Karrais, S. (2012). Now, please follow me - eine kritische Designforschung. Merz-Akademie. S. 36
3: Anja Neidhardt & Lisa Baumgarten (2020). Discrimination Follows Design – Design Follows Discrimination, Eine feministische Perspektive auf Gestaltung. S. 1; https://files.cargocollective.com/c534350/DFDDFD-Baumgarten-Neidhardt-DE.pdf
4: Vgl. Wischermann, U. (2019). Privatheit und Öffentlichkeit feministischer Theorie. In T. Thomas & U. Wischermann (Hrsg.), Critical Studies in Media and Communication: Bd. 19. Feministische Theorie und Kritische Medienkulturanalyse: Ausgangspunkte und Perspektiven (1. Aufl., S. 243–257). transcript. S. 253
5: Anja Neidhardt & Lisa Baumgarten (2020). Discrimination Follows Design – Design Follows Discrimination, Eine feministische Perspektive auf Gestaltung. S. 3; https://files.cargocollective.com/c534350/DFDDFD-Baumgarten-Neidhardt-DE.pdf
6: Breuer, G. & Meer, J. (Hrsg.). (2012). Women in graphic design: 1890-2012; Frauen und Grafik-Design (2., durchges. und korrigierte Aufl.). Jovis.
7: Meer, J. (2012). Der, die, das … Der Buchstabe, die Frau, das Problem? Einleitung zu den Kurzbiografien. In G. Breuer & J. Meer (Hrsg.), Women in graphic design: 1890-2012; Frauen und Grafik-Design (2. Aufl., S. 373–382). Jovis. S. 375
8: Meer, J. (2012). Der, die, das … Der Buchstabe, die Frau, das Problem? Einleitung zu den Kurzbiografien. In G. Breuer & J. Meer (Hrsg.), Women in graphic design: 1890-2012; Frauen und Grafik-Design (2. Aufl., S. 373–382). Jovis. S. 378
9: Hornscheidt, L. & Oppenländer, L. (2019). Exit Gender (1. Auflage). w_orten & meer. S. 293
10: Haele, U. & Moritsch, S. (Hrsg.). (2020). Entweder oder – sowohl als auch = Either/or - as well as: Gendersensibles Design = Gender-Sensitive Design. New Design University.
11: Vgl. Haele, U. (2020). GENDER und/and DESIGN… In U. Haele & S. Moritsch (Hrsg.), Entweder oder – sowohl als auch = Either/or - as well as: Gendersensibles Design = Gender-Sensitive Design (S. 9–36). New Design University. S. 34-35
12, 13: Haele, U. (2020). GENDER und/and DESIGN… In U. Haele & S. Moritsch (Hrsg.), Entweder oder – sowohl als auch = Either/or - as well as: Gendersensibles Design = Gender-Sensitive Design (S. 9–36). New Design University. S. 34
14, 15, 16: Haele, U. (2020). GENDER und/and DESIGN… In U. Haele & S. Moritsch (Hrsg.), Entweder oder – sowohl als auch = Either/or - as well as: Gendersensibles Design = Gender-Sensitive Design (S. 9–36). New Design University. S. 35
17, 18: Vgl. Søndergaard, M. L. J. (2020). Staying with the Trouble through Design: Ein kritisch-feministisches Deisgnmanifest. In P. Wesner (Hrsg.), Form: Bd. 287. Frauen und Design (S. 120–125). Verlag form. S. 125
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